You are not your own

You are not your own

Wenn es etwas gibt, das die Identität des modernen Menschen ausmacht, dann ist es die Vorstellung, dass ich mir selbst gehöre. Niemand anders hat das Recht über mich zu bestimmen. Gab es davon noch sehr lange gravierende Ausnahmen – Frauen, Kinder, Menschen mit Behinderung – so sind sie im Prinzip längst beseitigt. Jeder und Jede gehört sich selbst, auch in intimen Beziehungen, in denen man miteinander lustvoll verschmelzen kann. Das gilt zunächst für den Gebrauch des eigenen Körpers, aber dann auch für alles virtuelle, was mich ausmacht: mein Geist, meine Gefühle – nicht zuletzt meine Daten.

Letztlich kann ich folglich mein Selbstbewusstsein, meinen eigenen Wert, nicht auf der Herrschaft über andere aufbauen – genau genommen auch nicht auf deren Anerkennung. Ich muss dies alles in mir selbst finden bzw. selbst konstruieren. Und wenn ich mir selbst gehöre, dann ist die Steigerung meiner selbst durchaus ein sinnvolles Ziel. Ich kann dann alles mit mir machen: letztlich auch über mein Leben verfügen und es beenden, wann immer ich es will. Mich am Suizid zu hindern, was nicht zu tun bis heute als unterlassende Hilfeleistung gilt, ist dann ein strafwürdiger unzulässiger Eingriff. Das Ende dieser neuzeitlichen Kern-Konstruktion ist folglich die Auflösung sozialer Verbundenheit.

In der christlichen, aber wohl in der religiösen Tradition überhaupt , gehört der Mensch  ganz und gar nicht sich selbst sondern Gott und jede Geste, die auf den Besitz seiner selbst hindeuten könnte, wird deswegen als Zeichen der Sünde interpretiert. Entsprechende Diskurse finden sich in allen Religionen lediglich im liberalen Protestantismus sind sie in den letzten Jahren immer seltener anzutreffen, da ihre Plausibilität in einer individualistischen Gesellschaft offensichtlich kaum noch zu erarbeiten ist. Nicht nur angesichts der offenkundigen Krise dieser Gesellschaft lohnt es sich jedoch, einen interessierten Blick in die Traditionen der Erfahrung einer schlechthinnigen Abhängigkeit von Gott zu machen.

Besonders spannend in dieser Hinsicht ist die Aufarbeitung der paulinischen Theologie bei Simon Critchley. Er stellt die Bekehrung des Saulus als Erfahrung einer totalen Drehung in den Mittelpunkt und folgert: „Our becoming is not something that we can become. It is not a decision that we can take. As Paul puts it with much greater economy in 1 Corinthians: ‚You are not your own‘ (1 Kor 6,19)“ Du gehörst dir nicht selbst! Unsere Existenz resultiert aus einem Ergreifen, wie er mit Agamben feststellt. Der Versuch, autonom man selbst zu werden, kann nicht funktionieren: meine Passivität ist vielmehr zentral. Ich kann mich nur selbst empfangen, mein Selbst = meinen Call finden.

Damit ist klar, dass die Grundstruktur des christlichen Glaubens eine der Berufung, des Mich -Anrufens ist. Paulus ist der Gerufene, the called one, weil er exemplarisch gerufen wurde. – weswegen er nun Paul und nicht mehr Saul heißt. Als Saul trug er einen königlichen Namen nun den eines Sklaven. Diese Sklaverei macht ihn frei und diese Schwäche ist seine Stärke. „The power of being in Christ is a powerless power. It is constituted by a call that exceeds human strength. It gives subjects a potentiality for action through rendering them impotent.“ Deswegen lässt sich festhalten, dass es der Glaube ist, der das Subjekt erst schafft – nicht umgekehrt. Es geht überhaupt nicht um eine Art metaphysischem Für – Wahr – Haltens – Gottes, nicht um Glaubenswissen, sondern: „Faith is rather a lived subjective commitment to …. an infinite demand.“ Es ist der Glaube in dieser Sicht eine ungeheure, unendliche Forderung, die alle unsere Kräfte übersteigt, an die Tatsache, dass der Messias Jesu lebt. „Faith then, is the performative force of the words ‚Jesus Messiah‘ – nothing more, but nothing less.“ Jenseits davon „in proclaiming faith and enacting life, the world becomes trash und we become the trash of the world.“

Schließlich lösen sich die existenziellen Paradoxien, die Critchley in der Deutung Paulus versammelt in der Liebe auf, die das ist, was den, der keine Macht mehr über sich selbst hat, machtvoll machen kann. Nur logisch, dass hierzu Kierkegaard bemüht wird mit seinen berühmten Worten, denen gemäß die weltliche Weisheit glaubt, dass Liebe eine Beziehung zwischen zwei Menschen sei. Im christlichen Glauben jedoch ist sie eine Beziehung zwischen einem Menschen, Gott und einem anderen Menschen, was bedeutet dass Gott in der Mitte fungiert. Und das bedeutet abschließend: „Faith is the enactment of the self in relation to a demand that exceeds my power, both in relation to my factical throwness in the world and the projective movement of freedom achieved as responsibility.“ Meine radikale Fremdbestimmung ist eine Bestimmung durch die Kraft der Liebe, durch die Macht Gottes. Und damit ermöglicht sie mir eine grundlegende Selbstbestimmung.