Wir sind die Guten!
Wir sind die Guten!
In Anbetracht des eindeutig Bösen – Faschismus, Apartheid, Terror, Sklaverei und vieles mehr – sind die Verhältnisse wohl geordnet, denn wir stehen auf der Seite der Guten und positionieren uns bei jeder Gelegenheit gegen die Erscheinungsformen des Bösen. Und das ist natürlich auch völlig richtig so, denn gegen all dies muss man dagegen sein, man muss es bekämpfen. Zudem verschafft uns unsere Haltung ein gutes Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen und dafür dann auch von den richtigen Leuten Beifall zu erhalten – und von den anderen Kritik oder sogar Anfeindungen. All das bestätigt uns rekursiv immer wieder. Ein Leben lang kann man auf diese Weise ein gutes Gewissen haben.
Die ganze Geschichte wird dann etwas komplizierter und komplexer werden, wenn man sich näher auf Strukturen, Erscheinungsformen, Theorien und Ideologien des Bösen einlässt- und sei es nur um sie zu verstehen damit man sie besser bekämpfen kann. Sobald man das tut wird man gewahr dass hinter vielen Erscheinungsformen des Bösen ausgearbeitete Überlegungen stehen, die nüchtern betrachtet durchaus Faszination entfalten können. Und wenn man dann noch mit den Protagonisten entsprechender Ideologien auf Augenhöhe diskutiert fehlen einem nicht selten die unter seinesgleichen so billigen Argumente. Dann ist es besser, dass man sich selbst zumacht und sich diesen Versuchungen gar nicht erst aussetzt. Dennoch ist die Sache insbesondere im Fall des Faschismus natürlich vollkommen eindeutig. Aber etwas anders würde einem schon dann, wenn man sich mit Formen sozialistischer Abarten befasst, wie zum Beispiel dem stalinistischen oder auch maoistischen Kommunismus. Das zum Beispiel die maoistischen Kulturrevolution eines der größten Verbrechen der Menschheit gewesen ist bis heute vielen ‚Linken‘ nicht wirklich einsichtig und der Massenmörder Stalin findet in Russland immer noch massenhafte Verehrung.
Aber es ist auch ansonsten ausgesprochen bequem, sich selbst durch entsprechende eindeutige Positionierungen ein gutes Gewissen zu machen. Denn sobald es um die Konkretion einer guten oder bösen Politik – oder einfach irgendwelcher anderen Entscheidungen – geht, einer Politik die heute aktuell greift und natürlich das Gute befördern will, wird es in der Regel sehr viel komplizierter und verliert jede Form der Eindeutigkeit. In der Regel findet man dann in der einen oder anderen Form Kompromisse, unter denen die Vertreter der eindeutigen Zurechenbarkeit von gut und böse allerdings leiden. Besonders schwierig ist dies im Fall der Entscheidung über die Anwendung militärischer Gewalt und ihrer Vorbereitung. So ist es vollkommen konsequent gegen die Beteiligung Deutschlands an militärischen Aktionen in der Welt zu votieren und deswegen auch die Herstellung von Waffen in Deutschland, wenn nicht zu untersagen denn doch ihren Export so zu begrenzen, dass sich eine Herstellung in Deutschland nicht mehr lohnt. Man kann das so sehen und sich dabei auf der richtigen Seite fühlen. Auf der anderen Seite ist leicht einzusehen, dass eine solche Haltung in einem tatsächlichen Konfliktfall, den Deutschland nicht verhindern könnte, völlig hilflos da steht und sich wenn‘s gut geht dem Schutz anderer Mächte unterwerfen müsste. Oder man nehme die Situation der deutschen Wirtschaft, die von ihren gigantischen Exporten in alle Welt lebt und damit eben auch in alle möglichen Länder, von denen nur die wenigsten über demokratisch legitimierte Regierungen verfügen. Soll die deutsche Wirtschaft nun auf entsprechende Lieferungen zum Beispiel nach China oder Russland verzichten und damit diese Märkte den anderen überlassen? Die Folgen einer solchen Haltung wären absehbar.
Diese Beispiele machen deutlich, dass eine Situation der klaren Differenzierung zwischen Gut und Böse der absolute Ausnahmefall einer ethischen Situation ist. Im Grunde genommen kann man auch nur darum bitten, niemals wirklich in eine solche extreme Entscheidung Situation hinein geraten zu müssen, denn das kann dann das eigene Leben kosten. Die Situation in demokratischen liberalen Ländern zielt gerade darauf ab, solche Scheinsituationen zu vermeiden und damit Abwägungsentscheidungen möglich zu machen. Dies sind jedoch Entscheidungen, die sich auf spezifische Dilemmasituationen beziehen, in denen eben nicht eindeutig zwischen Gut und Böse sondern nur zwischen mehr gut und weniger gut oder zwischen mehr böse und weniger böse differenziert werden kann. Und dies gilt es dann mit Verantwortungsbewusst abzuwägen.
Nun ist der Ausgangspunkt einer christlichen Ethik ohnehin nicht der der Differenzierung zwischen dem absolut Guten und absolut Bösen – was es allerdings in dieser Sichtweise durchaus gibt. Der Ausgangspunkt liegt vielmehr darin, dass wir Menschen grundsätzlich in das Böse verstrickt sind und deswegen in jedem Fall, auch im Verfolgen des Guten, schuldig werden. Es gibt keine Option, sich diesem schuldig werden entziehen zu können – es gibt lediglich die transzendentale Vergebung durch Gott, seinen Freispruch, der Menschen trotz dieser Verstrickung ins Böse gerecht sein lässt. Um diese Grundsituation des Menschen zu beschreiben haben Augustin und andere seinerzeit die Erbsünde erfunden, die sich angeblich schon im Verhalten von kleinsten Kindern zeigen soll. Das allerdings leuchtet heute kommt noch ein, da man eine romantische Konstruktion um Kinder herum gebaut hat, die gerade auf deren Schuldlosigkeit beruht.
Besser ist es sicherlich, seinen Schuld ganz grundsätzlich als Charakteristikum unseres Daseins zu verstehen, z.B. mit Simon Critchley: „Life is a series of repayments on a loan that you didn’t agree to, with ever-increasing interest, and which will cost you your life – it’s a death-pledge, a mort- gage. … Debt is a way of being. It is, arguably, the way if being.“ Dieses Schuldverständnis ist ein existenzielles und sozusagen vormoralisches: Es selbst steht jenseits von gut oder böse. Weder ist es gut noch ist es böse es ist einfach unser Leben. Und das bedeutet, dass keine Entscheidungssituation das Schuldig-Werden eliminieren sondern es immer nur in der einen oder anderen Form bewegen kann. Der Punkt dabei ist, dass das Bewusstsein von dieser Schuld nicht verschwindet und so auch die stets mit einer Entscheidung verbundene Übernahme von Schuld nicht einfach zugunsten eines noch so großartigen Ziels verleugnet wird. Ein Unternehmer wird, um sein Unternehmen erfolgreich führen zu können, deswegen auch Geschäfte mit Staaten machen, deren demokratische Legitimität zweifelhaft ist. Aber entscheidend ist, dass er sich dessen bewusst bleibt und nicht auf die Idee kommt, sich selbst als die größten Helden aller Zeiten wegen solcher Geschäfte feiern zu lassen. Dieser Unterschied ist einer um fast alles.
Die christliche Entscheidungstheorie impliziert auf diese Weise stets eine gewisse Distanz zu den Zwängen, Mächten und Gewalten, unter deren Macht sich Entscheidungen vollziehen müssen. Letztlich nimmt sie sie nie völlig ernst, beugt sich aber um der Liebe willen, unter sie.