Warten

Warten

Am 14. August 2019 erschien in der TAZ eine wunderbare Meldung mit dem Titel: Parusie-Verzug. „Wie die evangelische Kirche Deutschlands mitteilte, wird ihr Chefkommunikator Michel Brinkmann vom Kirchenamt in Hannover in die Zentrale der Deutschen Bahn wechseln, Abteilung Personenverkehr. Über die Gründe für den Wechsel wurde nichts bekannt, aber Brinkmanns Qualifikation steht außer Frage, hatte er bei Kirchen doch mit einem Wirklichkeitsproblem zu tun, gegen das die Verspätungen der Bahn lächerlich wirken. Die Christen warten hier seit über 2000 Jahren auf die Wiederkehr des Herrn. Und es gibt etliche, die weiter fest daran glauben, dass er noch kommt: Mehr kann PR nicht erreichen.“

Das ist natürlich in dem typisch ironischen TAZ-Stil formuliert und macht sich in jeder Hinsicht über Kirche und christlichen Glauben lustig. Aber dennoch wird hier ein religiöses Grundphänomen angesprochen, was ganz besonders im Christentum eine große Rolle spielt: die Sakralisierung einer Haltung des Wartens. Sie hat ganz grundsätzlich damit zu tun, dass Gott aus der Zukunft auf die Menschen zukommt und ihnen begegnet. Nicht wir stürmen los und tun alles Mögliche, um zu Gott zu kommen und den Sinn unseres Lebens zu finden, sondern Gott tut etwas und unsere einzige Möglichkeit ist, auf dieses Tun Gottes zu warten, uns mithin grundsätzlich passiv zu verhalten, was den Kern unseres Lebens anbetrifft. Gerade für den modernen Menschen, der glaubt alles im Griff zu haben oder auf jeden Fall alles in den Griff bekommen zu müssen, eine geradezu unglaubliche Zumutung. Aber vielleicht denn doch eine herausragende Möglichkeit, das Wesentliche im Leben einfach kommen zu lassen. „Ich suche nicht, ich finde“ soll Picasso gesagt haben.

In die Richtung einer solchen Haltung gehen auch immer wieder Empfehlungen von Sozialphilosophen, wie zum Beispiel von Gregory Bateson und seiner Tochter Mary Catherine Bateson, die ihr gemeinsames Buch betitelten: „Wo Engel zögern“ – was dann weiter erläutert wird mit dem Satz: „Menschen stürmen los, wo Engel zögern“ – was Menschen zum Narren macht – und meinen damit zum Bereich des Heiligen, den sie in ihrem Buch ergründen wollen. Dabei sind sie stets auf der Suche nach „dem Muster, das verbindet“. Dieses stellt sich ein – oder auch nicht – jedenfalls lässt es sich nicht erschaffen. Und klar ist, dass es, wie jedes Muster aus Relationen, Beziehungen, besteht und nicht aus Substanzen. Es steckt in Erzählungen, Parabeln, Spielen. Die beiden wären in ihren Analysen sicherlich noch weiter gekommen, wenn sie religiöse Rituale insbesondere Gottesdienste und Meditationspraktiken breit untersucht hätten. So etwas fehlt leider. Warum eigentlich?

Das Warten – und damit in eins das Zaudern, Zögern, vielleicht auch das Abschweifen, ja überhaupt das Schweifen – setzt ein besonderes Zeit Verständnis voraus: eine Art Dehnung oder auch Stillstand der Zeit. Wer Warten als etwas Positives erleben kann, der hat offensichtlich genügend Zeit; steht jedenfalls nicht unter Zeitdruck. Er imaginiert eine Fülle der Zeit im Augenblick; hebt geradezu die Zeit auf. Eindrücklich ist diese Struktur von Josef Vogl in seinem Büchlein: „Über das Zaudern“ in Auseinandersetzung mit Kafka  u.a. entfaltet worden. „Dieses Zaudern ist weder Handeln noch nicht Handeln: es markiert stattdessen einen Ort, an dem sich die Komponenten, die Bedingungen und Implikationen des Handelns versammeln, an dem sich also die Tat nicht in ihrem Vollzug, sondern in ihrem Anheben artikuliert.“ Es ginge um eine „gegenrhythmische Unterbrechung“, „einen Einspruch im Rhythmus, eine Aktivität, die den Akt deaktiviert.“ Und noch schöner: „Das Zaudern, wäre somit ein Programm, das zu den flackernden Lösungen und Antworten die unerledigten Fragen und Probleme aufsucht.“

Mithin eröffnet das Warten einen Kontingenzraum, in dem sich Anderes, Neues, Überraschendes ereignen kann. Nichts anderes wären Gottesdienste. In ihnen wird die menschliche Erfahrungswelt artikuliert und eine Intervention Gottes imaginiert. Vielleicht ja sogar gerade die langweiligen. „Aus Langeweile sind schon Revolutionen geboren worden.“ – meint der große Philosoph, Puh der Bär