Teil des Ganzen sein

Teil des Ganzen sein

Trotz aller Individualisierung und Egozentrierung ist der Wunsch, irgendwie dazuzugehören und ein Teil von etwas Größerem zu sein, nicht aus der Welt zu schaffen. Die Bedeutung eines Arbeitsplatzes besteht für viele Menschen über die konkrete Tätigkeit hinaus vor allem darin, zu einem Kollektiv, einer Organisation oder etwas anderen dazuzugehören und auf diese Weise einen Platz in der Welt zu haben, der größer ist, als nur das, was mich selbst in meiner kleinen Wohnung ausmacht. Gute Arbeit zu haben, so sagte es mir vor kurzem ein Taxifahrer, das wäre dreierlei: ein anständigen Lohn zu bekommen, nicht gemobbt zu werden und  ein Teil des gesamten Unternehmens zu sein. Allein dieses Gefühl, ein Teil zu sein, stellt eine Art von Wertschätzung meiner selbst da und trägt zu meiner Identität nicht unwesentlich bei. Ja es kann geradezu toll sein, lustvoll im Allgemeinen unter zu gehen (Thomas Mann).

Nun sind die Möglichkeiten, Teil eines Größeren zu sein, durchaus fragil. Unternehmen können zerbrechen; Familien können zerfallen und Orientierungen anderer Art sich überholen. Dann setzen häufig Prozesse und Orientierungen ein, die auf der einen Seite progressiv auf etwas Neues zu steuern und auf deiner Seite aber auch rückwärtsgewandt alte längst überholte Gewissheiten wieder wachrufen wollen, die eigentlich längst in der Mottenkiste der Geschichte gelandet sind. Letzteres ist nicht selten mit einer Verbitterung darüber gekoppelt, dass sich die alte Zugehörigkeit nicht mehr lebendig erhalten lässt.  Ohnehin kann es auch ausgesprochen gefährlich sein, sich an ein Größeres zu binden, da dieses zu Beispiel in Form von Nationalismen oder Ideologien verschiedenster Art durchaus über den einzelnen Menschen in brutalster Art hinweg gehen kann. So verständlich der Wunsch also ist, Teil des Ganzen zu sein – oder auch auf einer einfachen Ebene ausgedrückt: „gebraucht zu werden“ -, so gefährlich ist er.

Diese Ambivalenz kennzeichnet auch die religiösen Vorstellungen des Ganzen, zu dem man durch den eigenen Glauben gehören kann oder an denen man sogar einen Anteil bekommt. Immer dann wenn dieses Ganze gleichgesetzt wird mit einer real existierenden Größe, wie zum Beispiel einer Kirche, ist Vorsicht angesagt. Gerade christlich kann man sich demgegenüber allerdings auch darauf verständigen, dass das Ganze zu dem man gehört, nicht das real empirisch Erfahrbare ist, sondern die wahre Kirche die verborgene Kirche ist. Sie gibt es, aber es bleibt prinzipiell offen, wer tatsächlich zu ihr gehört und an ihr Anteil hat. Es bleibt allein Gott überlassen, dies zu entscheiden.

Das reale Symbol für meinen Anteil am Ganzen ist meine Taufe. Durch sie, so scheint mir das angemessene Verständnis zu sein, hat mich Gott sozusagen adoptiert. Als Getaufter bin und bleibe ich insofern immer ein Kind Gottes – gerade auch dann, wenn ich mir besonders erwachsen vorkomme. Meine Zugehörigkeit ist eine geschenkte. Und gerade so ist diese religiöse Weise, ein Teil des Ganzen zu sein, ein Musterfall dafür, überhaupt irgendwo von ein Teil des Ganzen zu sein. Ich bin zum Beispiel mit meiner Nationalität oder Herkunft beschenkt – und kann daraus etwas machen für mich selbst und für andere. Aber ich kann an dieser Stelle nichts erzwingen und schon gar nicht sollte ich mich aufgrund dieses Geschenks meiner selbst über andere erheben, die andere Geschenke bekommen haben. Teil des Ganzen sein zu können, ist eine eminent demütige Haltung. Und genauso kann sie zu meiner Zufriedenheit, ja zu meinem Glücklich sein beitragen.