Schöpferische Ordnungen
Schöpferische Ordnungen
Eine der immer noch populärsten Zuschreibungen Gottes ist seine Rolle als Schöpfer der Welt. Offensichtlich empfinden selbst gestandene Naturwissenschaftler eine gewisse Unzufriedenheit davor sich mit der Vorstellung abfinden zu müssen, dass „vor“ dem Urknall schlicht nichts gewesen sei. Da greift der Horror Vacui um sich. Natürlich kann man auf dieser Ebene der Diskussion nun auch ganz und gar nicht die Existenz Gottes beweisen, aber auf jeden Fall bleiben enorme, ganz grundsätzliche Lücken in dem derzeitigen naturwissenschaftlichen Modell von der Welt und insbesondere von der Weltentstehung. Weder wissen wir, was die größte Einheit noch was die kleinste Einheit der Welt ist – weder wissen wir, was vor dem Anfang des Weltalls war, noch, was nach seinem Ende sein wird. Wir wissen nur, dass es in dieser Hinsicht einen Anfang und ein Ende gibt. Darauf kann man sich in Diskussionen verständigen – und sich dann naturwissenschaftlich – theologisch in Ruhe lassen.
Dennoch bleibt in diesem Kontext natürlich die Frage, was denn das Schöpfersein Gottes eigentlich genau zu bedeuten hat. Darüber gibt es ganze Bibliotheken. Wesentlich scheint mir zu sein, dass es in den wichtigsten Denkströmungen in der Regel mit der Stiftung von Ordnung im Weltgeschehen verbunden ist. So wird es ja auch in der Schöpfungsgeschichte der Bibel dargestellt: Gott sorgt durch Teilung der Elemente für eine Ordnung, die Leben ermöglicht. Der christliche Gott ist in dieser Hinsicht in einer ganz elementaren Form an Anhänger der Systemtheorie Luhmanns, die mit dem Satz beginnt: „Unterscheide!“ Und ebenso Gott: er unterscheidet Tag und Nacht, Land und Meer, Himmel und Erde und schließlich dann auch Gut und Böse. Daran ist wohl auch weiter nichts auszusetzen, da ja auch die als Evolution gedachte Schöpfung natürlich ihren Höhepunkt in immer komplexeren Ordnungsstrukturen finden muss, denn sonst ist auch biologisch kein Leben möglich.
Die Problematik der herkömmlichen christlichen Schöpfungsvorstellungen liegt jedoch darin, dass die Ordnungen Gottes als im wesentlichen statische, ein für alle Mal fixierte Ordnungen gedacht wurden. Das kam noch bis vor kurzem in der Rede von „Schöpfungsordnungen“ besonders gut zum Ausdruck. Unter Bezug auf sie konnte man alle von Dualen abweichenden Formen als pervers brandmarken und dementsprechend unter Bezug auf Gottes Willen diskriminieren, so natürlich insbesondere sexuelle Irritationen aber auch spezifische politische Auffassungen. Die Aggressivität gegen das Andere konnte sich so auch noch als mit Gottes Willen identisch legitimieren.
Aber die Zweifel an einer solchen Schöpfervorstellung sind immer weiter gewachsen. Zum einen natürlich aus der Provokation der gesellschaftlichen Realität, in der die Diskriminierung gerade des sexuell Abweichenden zum Glück nicht mehr toleriert wird. Von ihr ist auch im Neuen Testament relativ wenig zu lesen: der Christus mischt sich unter jedes Volk. Und es sind gerade die Nichtkonformen, die das Heil immer weiter getragen haben (gut zu erkennen in der Genealogien des Alten Testaments). Aber vor allem ist der biblische Gott nicht nur der Creator ex Nihilo, sondern auch derjenige, der den Toten wieder auferweckt hat und damit die vermeintlich festgefügte Ordnung der Welt, in der der Gottlose ans Kreuz genagelt wird, auf den Kopf stellt. Jene Ordnung, in der so etwas geschehen kann, kann nicht die Schöpfungsordnung Gottes sein.
Die Ordnung von Kreuz und Auferstehung, in der sich gemäß christlichem Glauben der Schöpfer den Menschen offenbart, ist offensichtlich in einer anderen Qualität als jene auf ewig statisch gedachten dualen Ordnungssysteme. Sie werden aufgebrochen zugunsten einer dritten Realität, die aus der Zweiheit eine Vielfalt macht. Diese neue Ordnung könnte man als schöpferische Ordnung und eben nicht mehr als Schöpfungsordnung verstehen. Es ist eine Ordnung, in der kreatives Handeln möglich wird; die solches Handeln freisetzt. Das impliziert stets auch so etwas wie kreative Zerstörung – darin liegt das Irritierende dieses Verständnisses von Schöpfung, das es aber in der alten Schöpfungsvorstellung natürlich auch gegeben hat. Gott kann seine Schöpfung auch jederzeit zurücknehmen und den Regenbogen auflösen. Das macht sein Handeln bei aller Geborgenheit, die die Schöpfungsvorstellung uns vermittelt, immer auch im Kern zutiefst unheimlich und lässt uns mit Augustín, unruhig sein bis wir ihn wirklich gefunden haben.
Wenn sich Schöpfung so als ein immer wieder neues kreatives Geschehen begreifen lässt, dass selbst keine nur bewahrenden Ordnungen sondern stets dynamische Prozesse nach vorne eröffnet, ergeben sich Perspektiven auf die christliche Existenz, die sich der modernen Welt mit ihren entsprechenden Prozessen durchaus verbunden weiß. Dann bleibt immer noch die Frage, welche dynamischen Prozesse tatsächlich das Leben fördern und welche es möglicherweise bedrohen. Aber klar ist dann, dass diese Frage nicht einfach durch Rückgang auf vermeintlich vorgegebene Strukturen beantwortet werden kann.