Party

Party

Im Jahr 393 schreibt Augustin einen Brief an Bischof Aurelius mit der Bitte, die beliebteste Form des christlichen Kultes in Nordafrika abzuschaffen: die Ehrungen für die Märtyrer und die Toten der christlichen Familien in den Kirchen und auf den Friedhöfen. Als Augustin später selbst Bischof war gelang ihm das Verbot dieser Feste tatsächlich. Spätestens seitdem zieht sich eine kleinbürgerliche Spießigkeit und Miefigkeit durch die kirchlichen Rituale, wenn nicht durch das ganze kirchliche Leben. Bis heute wären fröhliche Feste auf Friedhöfen Fälle für den Staatsanwalt – vielleicht abgesehen von dem berühmten „Tag der Toten“ in Mexiko. Aber der hat ohne Zweifel heidnische Ursprünge.

Robin Lane Fox erklärt, worum es ging: „Für normale Gläubige waren das eben jene abendlichen Zusammenkünfte, die das offizielle Gottesdienstprogramm der Kirche erträglich machten. Der Wein floss dort Strömen; Essen stand auf den kleinen Tischen zu Ehren des Toten, um die sich ‚Bekannte und Verwandte‘ auf Klinen zum Mal legten wie Gäste bei einer römischen Essenseinladung. Es gab immer wieder wohl sogar Löcher im Tisch, über die man Wein in das Grab darunter gießen konnte. Der manchmal in nahen Quellen gekühlte Rest wurde dann getrunken. Schließlich gab es rhythmische Tänze zu Klängen der Kithara oder einer ganzen Musikgruppe, während sich Männlein und Weiblein nach Einbruch der Nacht wahllos mischten. Hier kamen die Christen einer guten Party mit großzügiger Versorgung mit alkoholischen Getränken noch am nächsten. Unausweichlich konnten solche Feiern in Trunkenheit, Skandalen und schmutzigen Liedern enden. So etwas passierte nicht nur bei den kalendarisch vermerkten Märtyrerfesten, sondern ‚jeden Tag‘, wie Augustinus schreibt.“

Für Augustin ist das, was sich hier zeigt nichts weiter als eine sündenhafte Orgie, die mehr mit dem Teufel als mit Gott in Verbindung steht. Im Zentrum seiner Kritik steht dabei, wie immer, Kritik an der Zelebration der Sexualität, der er selbst einst erlegen war und die er Gott als Opfer dargebracht hat. Spätestens seitdem zieht sich ein deutlicher habitueller Abstand des Christlichen zur Lust, der in dieser Form immer noch die Volkskultur prägt, durch die Geschichte. Das Beispiel von 393 zeigt aber, dass es durchaus auch hätte anders kommen können. Möglichkeiten in diese Richtung hätten zum Beispiel durch die Integration des Ahnenkultes in vielen archaischen Kulturen in den christlichen Kult bestanden – aber dieser Weg ist in den offiziellen Kirchen immer wieder bekämpft worden. Auch hätte kultisch anders mit der Sexualität umgegangen werden können. Aber auch das wurde entschieden abgelehnt. Die Begründungen dafür liegen vor allem in der Stigmatisierung von Sinnlichkeit und Erotik, für die es allerdings in der Bibel insgesamt wenig Anhaltspunkte gibt. Jesus galt bekanntlich als Fresser und Weinsäufer bei seinen Feinden, so dass sich Paulus später genötigt fühlt darauf hinzuweisen, dass das Reich Gottes nicht aus Essen und Trinken bestehen würde.

Spätfolgen dieser Tradition zeigen sich dann zum Beispiel noch fatalerweise in Luthers Wittenberg, wo er wahrscheinlich durchaus ähnliche Feste abschafft, die von Bruderschaften veranstaltet wurden, um Geld zugunsten der Armen zu sammeln. Er hielt den honorigen Zweck für vorgeschoben und die Lust am Feiern für das eigentlich Wichtige. Über die Situation in Calvins Genf braucht man diesbezüglich nichts weiter zu sagen. Letztlich schlägt diese Haltung aber selbst noch in den sechziger Jahren vor der Revolution von 1968 durch, die entsprechenden radikalen Distanzierungen auch kirchlicherseits ein Ende macht – gut dargestellt in dem Spielfilm um Beate Uhse. Allerdings werden volkstümliche kirchliche Feste wohl immer durchaus anders verlaufen sein, sodass es auch eine verborgene Geschichte der Kopplung sinnlicher volkstümlicher Kulturen und Gefühlswelten mit dem Christentum gegeben hat, ohne die das Christentum faktisch kaum überlebt hätte.

Wie kommen die Kirchenväter, und später mehr oder minder die gesamte Klerikerschaft, dazu, dem Volk das wegzunehmen, was es am liebsten hat: sinnliche Feste? Nach Jahrhunderten einer entsprechenden Konditionierung fällt kaum noch auf, dass es sich hierbei um eine massive Herrschaftspraxis gehandelt hat, die der Legitimation bedurfte. Das Ganze ist ja nichts Harmloses sondern hat für sogenannte heidnische Kulte nicht selten auch gewalttätige Formen angenommen. Die Folgen im Blick auf Praktiken der Kolonisierung und der damit verbundenen Entfremdung der Menschen von ihren eigenen Kulturen sind noch längst nicht aufgearbeitet. Alles mit einem notwendigen Zivilisierungsschub zu rechtfertigen scheint mir nicht ausreichend zu sein. Worin liegt das Fehlverhalten gegenüber Gott im Fall von gemeinschaftlicher Vereinigung – und sei es mithilfe von Alkohol oder Erotik? Ob dabei Transzendenzerfahrungen ausgeblendet oder nicht vielmehr inszeniert wird ist sicherlich eine Frage der Gestaltung – aber doch keine grundsätzliche. Es kann doch nicht sein, dass nur intellektuelle Gotteserfahrungen legitim sein sollen.