Meine Leistung

Meine Leistung

Natürlich darf ich das, was ich leiste, mir selbst zurechnen – es sei denn ich habe es in einem Arbeitsvertrag an andere abgetreten, wofür ich dann bezahlt werde. Aber auch dann gilt: meine Leistung als solche, meine Leistungsfähigkeit, gehört mir, was elementar damit zusammenhängt, dass das was ich kann, meine Fähigkeiten und Kompetenzen, mir selbst und niemand anderen gehören. Die ganze kapitalistische Wirtschaftsordnung ist um diesen Grundsatz herum aufgebaut und entwickelt ihre enorme Dynamik gerade daraus. Das hindert nicht, ja das beinhaltet sogar ausdrücklich, dass die Verträge ungleich geschlossen werden und auf diese Weise ein beständiger Ausbeutungsprozess stattfindet. Er kann aber nur deswegen kanalisiert werden, und wird es auch beständig, weil die Voraussetzung eben die ist, dass jede Leistung dem gehört, der sie erbringt. Nur dann kann sie abgegeben, verkauft werden.

Ganz offensichtlich gehen wir davon aus, dass dies auch für uns angeborene Begabungen und natürlich vor allem für erworbene Kompetenzen gilt, obwohl ich im ersten Fall gar nichts und im zweiten Fall nur unter Unterstützung vieler anderer zur Entwicklung einer Leistungsfähigkeit beigetragen habe. Hier entstehen folglich schon erste Zweifel, ob diese meine Leistungsfähigkeit tatsächlich nur mir gehört. Die Zweifel werden dann noch heftiger, wenn ich auf jene Kinder blicke, die in besonders begünstigten Familien aufwachsen, und vielleicht sogar durch Erbschaft genug Kapital erwerben können und davon ein Leben lang auch ohne beständige weitere Entwicklung ihre eigenen Leistungsfähigkeit bestens leben können. Es ist nicht schwer zu sehen, wie sich hier ganze Generationsbeziehungen der Privilegierung aufbauen können, innerhalb derer sich ein produktiver Bezug auf die eigene Leistungsfähigkeit völlig verdünnt.

Einer der widerspenstigsten Gedanken John Rawls‘ in seiner großen „Theorie der Gerechtigkeit“ liegt quer zu diesen Überlegungen und es fällt ausgesprochen schwer, seine Wirkung in der tatsächlichen Gestaltung von Gesellschaftsordnungen nachweisen zu können. Rawls geht es darum, dass niemand aus seinen Begabungen oder seiner familiären Herkunft besondere Vorteile ziehen dürfe. Er knüpft dabei an seinen bekannten Gleichheitsgrundsatz an: „Alle sozialen Werte – Freiheit, Chancen, Einkommen, Vermögen und die sozialen Grundlagen der Selbstachtung – sind gleichmäßig zu verteilen, soweit nicht eine ungleiche Verteilung jedermann zum Vorteil gereicht.“ Ein paar Seiten weiter heißt es dann: „Es ist also nicht richtig, dass Menschen mit größeren natürlichen Gaben und dem überlegenen Charakter, der ihre Entwicklung ermöglichte, ein Recht auf ein System der Zusammenarbeit hätten, dass ihnen die Erlangung weitere Vorteile auf Weisen gestattet, die anderen keine Vorteile bringen. Man hat seinen Platz in der Verteilung der natürlichen Gaben ebenso wenig verdient wie seine Ausgangsposition in der Gesellschaft. Ob man den überlegenen Charakter, der die Initiative zur Ausbildung der Fähigkeiten mit sich bringt, als Verdienst betrachten kann, ist ebenfalls fraglich; denn ein solcher Charakter hängt in erheblichem Maße von glücklichen familiären und gesellschaftlichen Bedingungen in der Kindheit ab, die man sich nicht als Verdienst anrechnen kann. Der Begriff des Verdienstes ist hier nicht am Platze.“

In einer christlichen Perspektive, aus der John Rawls ursprünglich kommt, klingt dieser Gedanke folgendermaßen: „Je mehr sie (die menschliche Person GW) ihr Leben betrachtet, je mehr sie mit vollständiger Aufrichtigkeit in sich geht, desto deutlicher nimmt sie wahr, dass alles, was sie hat, ein Geschenk ist. War sie ein aufrichtiger Mensch in den Augen der Gesellschaft, so wird sie nun zu sich sagen: ‚Du warst also ein gebildeter Mensch, ja, aber wer hat für deine Erziehung bezahlt; Du warst also ein guter und aufrechter Mensch, ja, aber wer hat dir gute Manieren beigebracht und dich in die glückliche Lage versetzt, nicht stehlen zu müssen; Du warst also ein liebender Mensch und nicht hartherzig, ja, aber wer hat dich eine guten Familie zu, wer hat dir Fürsorge und Zuneigung gezeigt, als die jung warst, damit Du im Erwachsenenalter Liebenswürdigkeit schätzen würdest – Must du nicht zugeben, dass alles, was du hast, dir gegeben wurde? Dann sei dankbar und höre auf mit der Prahlerei!“ Und etwas weiter zitiert Rawls in seiner Examensarbeit dann 1. Johannes 4, 19: „Lasst uns lieber, denn er hat uns zuerst geliebt!“