Kommunikation mit Gott

Kommunikation mit Gott

Im Zentrum jeder Religion und so auch des christlichen Glaubens stehen Formen der Kommunikation mit Gott. Sie können ritueller Natur sein und mehr oder minder distanziert von den Beteiligten oder in Formen ihrer deutlichen Einbeziehung ablaufen. Das Christentum hat in dieser Hinsicht eine ungeheure Vielfalt von liturgischen Möglichkeiten entwickelt, die von kleinsten Andachten im kleinen Kreise bis hin zu gewaltigen Hochämtern reicht, die der Aufführung großer Konzerte oder der von Schauspielen gleicht. Im Kern stehen dabei immer Symbolhandlungen, in denen das Transzendente in der ein oder anderen Form im Irdisch – Materiellen abgebildet wird. Klassisch wird dabei bestimmten Ritualen, wie zum Beispiel der Eucharistie, eine reale Wirkung zugerechnet. Protestantisch ist der Gottesdienst in der Regel als eine Art Weg aus dem Alltag der sündhaften Belastungen zu Gott und wieder gesegnet zurück in den Alltag der Bewährung gestaltet. Der Mensch kommt mit seiner Schuld vor Gott und wird von ihm freigesprochen. Katholisch kann sich das Ganze als ein objektives Geschehen vollziehen, protestantisch geht es nicht ohne die subjektiv individuelle Aneignung. Auf jeden Fall setzt die bewusste Teilnahme an religiösen Ritualen Einübung voraus.

Eine andere Form der individuellen Kommunikation mit Gott, die auch in den Ritualen praktiziert wird, ist natürlich das Gebet (und verkleinert die Meditation). In ihm betreibe ich eine intime Zwiesprache mit Gott, indem ich ihm mein Inneres offenbare. In gewisser Weise nötige ich ihm meine Probleme auf, erwarte, dass er mir zuhört und gegebenenfalls auch antwortet. Man kann Gebet auf diese Weise von außen als eine Höchstform fiktionaler Kommunikation begreifen, die sich sozusagen im luftleeren Raum ereignet aber beträchtliche Folgen haben kann (elementar deutlich in der Aktivierung spezifischer Gehirnzonen zu erkennen). Ich imaginiere die Existenz des überwältigend Anderen, der aber gleichwohl höchstpersönlich zugänglich ist. Am plausibelsten scheint es mir immer noch zu sein, ein Gebet im Kern als Einstimmung bzw. aktive Zustimmung zum Handeln Gottes zu begreifen. Das würde dann dazu führen, dass jedes Gebet mit der Christus Formel endet: „…aber nicht mein Wille sondern dein Wille geschehe.“ Der Beter würde sich damit in die größere Realität Gottes einfügen, auch wenn sie nicht seinen Interessen entspricht oder er sie nicht versteht. Das kann man von außen als hochideologische Verkleisterung der Realität verstehen – aber eben auch nur von außen.

Solche Art der Kommunikation ist ganz und gar nichts Ungewöhnliches. Menschen pflegen dauernd imaginäre Kommunikationen mit anderen, so zum Beispiel intensiv mit verstorbenen Angehörigen. Und auch dies kann beträchtliche Folgen für die reale Interaktion und Kommunikation haben. Genauer gesagt: nur ein Bruchteil ihrer gesamten Kommunikation vorziehen Menschen real mit anderen. Der größte Teil vollzieht sich in ihrem Inneren als Selbstgespräch. Hierüber gibt es viele Analysen, die seinerzeit mit dem berühmten Untersuchungen des Zeitverständnisses der Erinnerung bei Augustin begannen. Insofern ist ein Gebet genau genommen eigentlich das Normalste von der Welt. Jeder und jede betet eigentlich dauernd. Die Frage ist nur ob es dabei um Selbstspiegelung oder um ein wirklich triangulatorisches Geschehen geht, d.h. ob Menschen sich im Gebiet an einer fremden, außersubjektiven Realität abarbeiten.

Ausgesprochen spannend sind nun jene Situationen, in denen Gott mir auf mein Gebet antwortet. Während man das Gebet zu ihm in der Regel noch als eine legitime menschliche Möglichkeit anerkennt, führen solche Erfahrungen möglicherweise zur Einweisung in die Psychiatrie. Dem modernen hegemonialen Weltbild sind transzendentale Resonanzerfahrungen nachhaltig ausgetrieben worden. Das betrifft die Kommunikation mit Gott oder Göttern – aber es bezieht sich auch auf die Kommunikation mit Pflanzen und Tieren. Auch wenn es an dieser Stelle mittlerweile viele Aufweicherscheinungen gibt. Im charismatisch fundamentalistischen Bereich wird allerdings intensiv daran gearbeitet, das Antworten Gottes immer besser zu verstehen. Die Kriterien dafür, ob es sich bei dieser oder jener Wahrnehmung tatsächlich um ein Antworten Gottes handelt oder nicht, werden der Bibel, der christlichen Tradition, vor allem aber dem Diskurs der betreffenden Gemeinde, also den gemeinsamen Erfahrungen aller, entnommen. Das setzt eine gewisse Abkopplung von den Wahrnehmungsstandards der gesellschaftlichen Umgebung voraus- muss aber deswegen nicht von vornherein als komplett irrational abgetan werden. Hoch anerkannte Theologen und Philosophen wie zum Beispiel Manfred Josuttis oder Charles Taylor haben sich in dieser positiv konstruktiven Weise mit wichtigen Visionen aus der Christentumsgeschichte auseinandergesetzt. Leuchtend ist dabei die Vision von Augustin und seiner Mutter Monnica seinerzeit in Ostia, die weit über ein reines Antworten Gottes mit einem Aufstieg in den Himmel verbunden war.

Abgesehen von diesen eher spektakulären Formen des Kontaktes mit Gott, die den Alltag weit überschreiten, existiert aber auch eine schlichte wenn auch sehr effektive Form der alltäglichen Kommunikation mit Gott. Es ist der bei vielen Menschen sich praktisch dauernd im Inneren vollziehende Abgleich ihrer Beziehung zu anderen Menschen bzw. ihres Umgangs mit den Dingen mit dem Hintergrund von ursprünglichen prägenden Erfahrungen existenzieller und normativer Natur. Sie haben sich in der eigenen biografischen Entwicklung zu Mustern und Rahmen (Frames) ihrer Wahrnehmung herausgebildet und funktionieren auf diese Weise ganz selbstverständlich triangulär. In diesem formatierten aber stets auch fragilen und fluiden Binnenleben kann Gott als eine Art letztes Kraft- und Bezugszentrum, als absolute Referenz, einen wichtigen Platz einnehmen und wird dies wahrscheinlich bei vielen Menschen auch tun. In der christlichen Tradition wird dies nicht selten mit Bildern von Vater und Mutter gekoppelt sein: das Bild Gottes im Innern hat Züge des eigenen Vaters und der eigenen Mutter. Wichtig scheint mir zu sein, dass dieser Gott kein passives Wesen ist, sondern stets etwas will, mich herausfordert etwas zu tun und meine Faulheit und Trägheit massiv infrage stellt. Das kann im Protestantismus die innere asketische Arbeitshaltung sein, die sich allerdings längst überall in der Welt abbildet. Natürlich muss auch an dieser Stelle darüber diskutiert werden, ob es sich bei dieser inneren Stimme tatsächlich um die Stimme des lebendigen Gottes von Christus handelt oder ob es nicht lediglich moderne Götzen der Effizienz sind. Aber auf jeden Fall existiert auf diese Weise eine Art der lebendigen, alltäglichen Kommunikation mit Gott, die wahrscheinlich von allen diesbezüglichen Kommunikationsformen noch am folgenreichsten ist.

Ein wenig davon scheibt mir bei Kierkegaard anzuklingen: „Beten sei wie Atmen und so erübrigt sich dann auch die Frage, warum man beten sollte: ‚“ Warum atme ich? Weil ich sonst stürbe – so auch mit dem Beten. Auch glaube ich nicht, durch Atmen die Welt umzuschaffen, sondern nur selbst die Vitalität zu reproduzieren und erneuert zu werden – so auch mit dem Beten im Verhältnis zu Gott.“‘