Ironie

Ironie

Niklas Luhmann hat irgendwo mal behauptet, eine Mischung aus Drogen und Ironie sei die einzig wirklich mögliche Konkurrenz zur Religion. Nun könnte man sicherlich zustimmen, dass Drogen die Konkurrenz zu eigentlich allem sind – aber Ironie ein Feind der Religion? Oder genauer gesagt: Ironie ein Feind des christlichen Glaubens? Auf den ersten Blick ist da etwas dran, denn zunächst einmal bezeichnet Ironie einen Kommunikationsstil, in dem ich etwas behaupte von dem ich mich gleichzeitig distanziere. Also eine höchst doppelbödige Angelegenheit, bei der ich bewusst mir selbst und anderen sozusagen den Boden unter den Füßen wegziehe. Genau genommen weiß ich in solch einer Kommunikation nicht mehr, was eigentlich Sache ist oder will es auch gar nicht wissen. Das kann irritieren, ist vielfach auch überhaupt nicht verständlich, und sollte in schwierigen Situationen unterbleiben. Wer darauf angewiesen ist, sich genau orientieren zu müssen kann mit ironischen Auskünften nichts anfangen. Und natürlich wird in der Religion anderes gesucht, nämlich möglichst klare Orientierung, Geborgenheit, Hoffnung, die ein ironisches Verhalten nachhaltig zersetzt. „Ironie gelingt selten oder nie“ sagen die Journalisten. Genau wie im Fall der Religion braucht man dafür extra markierte Orte und Zeiten, die einen gefahrlosen Umgang mit Ironie möglich machen.

Sieht man ironische Kommunikation jedoch einmal von einer rein funktionalen, in dieser Hinsicht konstruktiv positiven Seite, dann ist sie ein Signal dafür, dass es zur Definition einer Situation immer viele verschiedene Möglichkeiten gibt und keine die Situation wirklich auf den Punkt bringen kann. Nichts in der sozialen Welt ist von sich aus eindeutig – eindeutig wird es erst durch das Verhalten und insbesondere den Sprechakt der Akteure. Und sie unterliegen einer erheblichen Willkür – oder anders gesagt großen Freiheitsgraden. So sind zum Beispiel Täter – Opfer – Verhältnisse beim genauen Hinschauen selten nie völlig eindeutig – damit sie beherrschbar werden, müssen sie jedoch entsprechend zugeordnet werden. So ist das jedenfalls die soziale Konvention unter uns. Ironiker sind deswegen geborene Anarchisten.

Diese Überlegungen könnten nun allerdings eine gewisse Brücke, wenn nicht zu Religion im Allgemeinen, so doch möglicherweise zum christlichen Glauben schlagen. Der christliche Glaube setzt darauf, dass die Welt, die Realität, eine Schöpfung Gottes ist, die infolgedessen auch anders sein könnte und im Prinzip auch jederzeit anders sein kann. Wenn man zudem einmal davon Abschied genommen hat, dass Gott ein für alle Mal statische Schöpfungsordnungen geschaffen hat sondern ein beständig schaffender – und deswegen auch kreativ zerstörender – Gott ist, wankt der Boden unter den Füßen auch hier. So ist zum Beispiel der Begriff der „Bewahrung der Schöpfung“, der ja christlich immer wieder traktiert wird, hoch problematisch, da Gottes Schöpfung sich beständig radikal weiter entwickelt und nichts so bleibt wie es einmal war. Es wird sozusagen gar nichts bewahrt. Und wenn man in diesem Zusammenhang dann die Tradition des christlichen Wunderglaubens reaktualisiert, wird es alles noch viel offener. Liest man die Evangelien mit einer entsprechenden Brille, dann macht Jesus Christus dauernd deutlich, dass es neben und hinter der erfahrbaren Realität der Menschen immer noch ganz andere Dimensionen gibt und erweist sich somit als ein Ironiker, wenn auch als ein menschenfreundlicher.

Die ganze Sache wird dann noch komplexer, wenn man den christlichen Kernmythos, die Erzählung von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi in den Blick nimmt. Hier bleibt nun wirklich keine Faser der Realität an ihrem Platz. Die Ordnung der Welt, in der die Bösen draußen vor der Stadt hingerichtet werden und die vermeintlich „Guten“ sich die schmutzigen Hände in Unschuld waschen, bricht zusammen und es scheint etwas völlig anderes durch, vor dem die gewohnten Lebensbewältigungsformen der Menschen nur noch Abfall darstellen. Mit Kreuz und Auferstehung erweist sich Gott als der größte Ironiker überhaupt. Er zeigt, dass das was es gibt, an der wirklichen Wirklichkeit überhaupt nicht partizipiert. Wie auch immer man den „Ertrag“ dieses Geschehens beschreiben kann, sofern man so überhaupt darüber reden kann: auf jeden Fall geht es um etwas, was unserer Wirklichkeit jeden Boden unter den Füßen entzieht und sie auf der anderen Seite dann aber auch wiederum stabilisiert. Gerade weil sie nicht die letzte Wirklichkeit ist, lässt sich – noch – in ihr Leben. Man muss folglich über sie reden, als redete man nicht über sie, sondern über etwas ganz anderes. Man lebt sein Leben, als lebte man es nicht. Kein anderer als der große Paulus hat diese Art eines zutiefst ironischen Umgangs mit der Welt zum Kern seiner Theologie gemacht. Einen anderen Großen, Kierkegaard, treibt sie existentiell um.

Nun kann man an dieser Stelle behaupten, dass diese Sicht eine zutiefst intellektualistische Sicht sei, die mit der Funktionsweise der alltäglichen Religion und ihrer Rituale, die allesamt auf Bestätigung einer Ordnung zielen, überhaupt nichts zu tun hätte. Daran ist auf den ersten Blick auch ganz viel dran. Aber schon beim zweiten Blick, z.B. auf die Funktionsweise eines christlichen Gottesdienstes, kann schnell deutlich werden, wie sehr die Infragestellung der Wirklichkeit, insofern das alltägliche Kreuz, den Kern des Religiösen ausmacht. Der christliche Gottesdienst ist herkömmlich so aufgebaut, dass der Mensch aus den belastenden Erfahrungen seines Alltags d.h. den Realitätsstrukturen seines Lebens, in einen Dialog mit Gottes anderer Wirklichkeit hineingezogen wird, aus der er oder sie neue Perspektiven, und damit dann auch neue Kraft für das weitere Leben empfangen kann. D.h., dass die biblischen Texte, Gebete und natürlich vor allem im Protestantismus die Predigt, die Kontingenz dessen aufreißen, was sich als Realität darstellt. Das was ihr erlebt, muss nicht die wirkliche Realität sein. Oder aber: das was ihr erlebt, ist nur ein Symbol oder gar nur ein Zeichen für die viel größere Wirklichkeit der Fülle Gottes. So besingt Paul Gerhardt in „Geh aus mein Herz!“ die Schönheit des Sommers nicht als solche sondern als Vorschein der unendlich viel größeren Schönheit des Lebens mit Gott. Wenn das keine gelebte Ironie ist!