Existenzielle Triangulation

Existenzielle Triangulation

Am Anfang stehen Drei: Ich, Du und nochmal Du. Oder anders gesagt: da bin stets ich selbst, da ist der andere Mensch oder die andere Kreatur – und da ist das andere Du, Gott. Ich bin immer und von vornherein nicht nur in die Kommunikation mit den anderen eingespannt sondern von vornherein ist diese Ich – Du Beziehung aufgespannt zu etwas, dass sie übersteigt, zugleich grundiert und in ihr wirkt: zu Gott. Bevor man also genauer herauszufinden versucht, um wen es bei diesem Gott geht, ist die existenzielle Verbundenheit mit ihm immer schon gegeben. Ich lebe stets in einer solchen Dreier-Beziehung – stehe folglich nie nur in einer autonomen monologischen Ich Haltung oder in einer gekapselten Ich- Du oder auch Du-Du Beziehung. Das wäre alles viel zu kurz gesprungen und viel zu einfach gedacht. Erst die Realisierung des stets triangulären Kontextes macht die wirkliche Komplexität meines Lebens sichtbar. Und nur so wird das andere Du, Gott, überhaupt angemessen wahrnehmbar: als eine in allen meinen Lebensbezügen stets wirksame „Macht“ – so wie auch das Du meines Mit -Menschen oder meiner Mit- Kreatur mich machtvoll begleitet.

Am Anfang steht mithin nicht nur die binäre Unterscheidung von gut oder böse, schwarz oder weiß, ja oder nein, die mich meine Welterfahrung kategorisieren lässt, und die den Anfang eines Systems markiert, sondern eine Beziehung die solche Einteilungen schon stets überschreitet und potentiell infrage stellen kann. Es gibt weitaus mehr, als was sich durch solche Unterscheidungen einfangen lässt. Virtuell gesehen, aus der Sicht Gottes, können Sie trotz aller Schönheit und Effizienz ausgesprochen lächerlich wirken. Damit werden entsprechende Einteilungen auf der einen Seite zunächst mal überhaupt sichtbar und damit – zum Positiven hin  – nutzbar; zum Negativen: destruierbar. So kann es natürlich sein, dass sich die Differenz zum Beispiel von Mann und Frau als Welteinteilung gut bewährt. Gleichzeitig aber wird deutlich, dass sie Kollateraleffekte produziert, die nicht wünschenswert sind, da sie existenzielles Leiden mit sich führen. Allein dieses Argument führt noch nicht zwangsläufig zur Abschaffung dieser Differenz, verlagert sie aber in einen moralrelativen Zwischenraum.  Wie überhaupt schon der Ansatzpunkt bei einer existenziellen Triangulation jede Form einer moralischen Argumentation dadurch in den Hintergrund drängt, dass sie sich allein auf die Zu- oder Aberkennung von Ehre im Verhältnis Ich und Du bezieht. Es fehlt darin die Positionierung des anderen Du, Gottes, mit dem im Bündnis das Du durchaus gegen mich Recht behalten kann.

Um die Funktionsweise eines solchen triangulären Kommunikationsgeschehens gleich an einem klassischen Beispiel zu illustrieren sei auf ein Luther Zitat hingewiesen: „Denn darum sind die Sünder schön, weil sie geliebt werden; nicht darum werden sie geliebt, weil sie schön sind.“ Der quasi alltäglich normale Bezug meiner Liebe zu Dir, weil Du schön bist und ich mich deswegen in Dir spiegeln kann wird durch die Einführung des dritten, Gottes, ausgehebelt: weil Gott dich liebt bist du schön, was dann im weiteren auch bedeutet das ich dich durch meine Liebe schön mache: ich bin verantwortlich für meine Liebe und reagieren nicht nur auf deine Schönheit. Insofern bin ich auch frei davon mich beständig darum zu bemühen, dass ich geliebt werde. Meine Verantwortung ist es, die Liebe in der ich schon längst stehe, weiterzugeben und andere durch meine Liebe, in der sich die Liebe Gottes spiegelt, schön zu machen.

Es ist deutlich dass die binäre Differenzierung von schön und hässlich auf diese Weise ins Licht einer dritten Beleuchtungsquelle rückt. Das, was aus der alltäglichen Ich – Du Beziehung normalerweise herausfallen muss wird so wieder integriert. Die angeblich so natürliche Selbstbezogenheit wird elementar gesprengt. Im Licht dieser transzendentalen Liebe wird auch das Hässliche und deswegen Ausgegrenzte schön und liebenswert. Näherhin bedacht besteht dieses Denken in einer fundamentalen Wende der normalen Lebenshaltungen, weil es den kultivierten und überall anerkannten Gott der Selbsterhaltung, den Ego Gott, von vornherein bedroht. Insofern geht es zwar stets darum, was mir letztlich gut tut, aber das muss überhaupt nicht das sein was ich selbst von vornherein als primär beglückend und bereichert empfinde. Es kann durchaus mit einer elementaren Verunsicherung meines Selbstverständnisses; mit Verwundungen zu tun haben.

Was mit einer solchen triangulären Haltung aufscheint ist ein in den Alltag und in die Normalität gezogenes Verständnis von Epiphanie. Gott erscheint nicht nur bei spezifischen Gelegenheiten, an heiligen Orten oder zu sakralen Zeiten, sondern sein Wirken rahmt das Geschehen zwischen Ich und Du. Die alten überkommenen Vorstellungen von einem Licht, das in die Dunkelheit scheint oder auch von Wundern die in den alltäglichen Ablauf eingreifen, machen diese den Alltag übergreifende und ihn zugleich relativierende und grundierende Wirklichkeit im Grunde genommen schon sehr gut deutlich. Sie sind in vielfacher Hinsicht ästhetisierende Kategorien: die Metapher von einer spezifischen Beleuchtung beschreibt das, was hier geschieht schon einmal sehr gut. Man kann auch von einer Art von Hintergrundmusik oder von Düften und Gerüchen reden: immer sind es primär sinnliche, den Leib berührende – ihn heilende aber sicherlich auch in verletzende – Energien, um die es in dieser Epiphanie geht. Es scheint etwas jenseitiges, anderes, mich und dich Ergreifendes im Leben auf und „dreht“ mich und dich herum. Nichts anderes ist Konversion. Es kann dann sein, dass die heiligen Orte oder sakralen Zeiten solche Erfahrungen noch einmal überschreiten, sie korrigieren oder euphemisieren. Auf jeden Fall haben sie die Funktion, meine Erfahrungswelt in einen kommunizierbaren größeren Zusammenhang zu heben.