Ich heb ab

Ich heb ab

„Ich heb ab und seh die Welt von oben“ so singen Sido und Andreas Bourani. Sie schildern einen Astronauten, der die Welt in all ihrer Hässlichkeit aber dann auch in ihrer Schönheit von oben betrachtet und durch die Distanz zum Nachdenken gebracht wird. Das Faszinierende dabei ist diese Bewegung des Abhebens von der alltäglichen „Realität“ nach „oben“. Normalerweise wird solch ein Verhalten von Zeitgenossen nicht gebilligt, da es bedeutet, dass jemand sich von der gemeinsamen Wirklichkeit, und zwar insbesondere der gemeinsamen Mühe und Arbeit, mit den anderen löst und sich in eine andere Realität hinein begibt. Tatsächlich würde so jemand dann nur noch auf Kosten von anderen Leben und das wird nicht gerne gesehen. Alles muss einen klaren Nutzen haben und jeder muss mit seinen Möglichkeiten für sich selbst und andere sorgen. Sonst wird man zum Schmarotzer.

Aber das Abheben ist auch ein Modus des religiösen Lebens und jenes verkümmert total und verkommt in der Langweiligkeit, wenn es auch hier ausgeschaltet und nicht mehr toleriert wird. Sich wirklich Gott anzuvertrauen hat ganz viel von einem Flug über den Wolken – ohne dabei zu wissen, wo man landet und mit ausgeschalteten Bordinstrumenten. Und es ist eben ein Flug oberhalb des alltäglichen Lebens oder gar der alltäglichen Arbeit. Man kann das in manchen religiösen Ritualen, katholischen Messen und manchen herausragenden Gottesdiensten erleben, die das Abheben durch ihre gesteigerte Ästhetik simulieren. Oder man erlebt es in manchen Kirchgebäuden, in den großen romanischen oder gotischen Kathedralen. Es reicht schon, wenn man in Assisi die Katakomben der Heiligen Klara durchschreitet durchschreitet, um ein Gefühl für solch ein Abheben zu bekommen. Gerade sie erinnern an durchaus durch Drogen inspirierte Popinszenierungen. Setzt man sich solchen Erfahrungen aus, so kann es sein, dass man nicht dieselbe bleibt, wie vorher. Und das ist ja auch gut so.

Das bedeutet aber, dass gelebter Glaube, gerade in dem er sich auf den Alltag der Menschen bezieht, nicht in diesem Alltag verschwindet sondern ihn umgreift, transzendiert und in ein besonderes Licht taucht. Ganz wie jene holländischen Maler, die in der Folge der Reformation den Alltag der Menschen als ihr Thema entdeckten und nun begannen Straßenzüge und Arbeitsprozesse darzustellen – allen voran Jan Vermeer und natürlich der große Rembrandt. Im Fokus der Aufmerksamkeit stehen dann die Realitäten, die uns alltäglich umtreiben, die Gegenstände und Situationen, die uns umgeben. Aber sie sind deswegen im Mittelpunkt unserer Achtsamkeit weil sie quasi von oben oder jedenfalls von ganz woanders her angesehen werden. Es ist das alltägliche Leben, das auf diese Weise geheiligt wird. Ohne das Abgehobensein gelingt Aufmerksamkeit nicht.