Arroganz des Glaubens
Arroganz des Glaubens
In der Zeit der Corona Pandemie wird, wie immer in solchen Katastrophensituationen, die Frage nach dem Wirken Gottes angesichts des enormen Leidens und Sterbens von vielen Millionen Menschen, aktuell. Dabei ist deutlich, dass es keinen Weg gibt, das Leiden in irgendeiner Form human plausibel ursächlich mit Gottes Handeln in irgendeinen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Insofern kann man verstehen, dass viele Menschen, auch praktizierende Christen oder Theologen sich dagegen wehren diese Katastrophe überhaupt in der einen oder anderen Form Gott zuzurechnen. Allerdings stellt sich, wenn man dem zustimmt, die Frage nach dem Handeln Gottes – dann nur noch als eine Art des Resthandelns – in der Welt, dann nur noch umso deutlicher. Auf jeden Fall gewinnt der christliche Glaube durch solche Zurechnungen nicht gerade an Plausibilität sondern verliert große Felder der Weltdeutung.
Aber gibt es denn überhaupt irgendeinen Weg, großes Leiden mit Gott einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen? Wahrscheinlich nicht mehr in der Form eines einsehbaren sinnvollen Tuns Gottes – jedenfalls nicht in der Form, einen Sinn einsehen oder ihm sogar zustimmen könnten. Die Pandemie bleibt sinnlos, ja andere Katastrophen wie insbesondere der Holocaust bleiben ebenfalls vollkommen sinnlos und man sollte nicht versuchen, ihnen irgendeinen transzendentalen Sinn überhaupt zuzuordnen. Sofern man diesen Zusammenhang artikuliert kann es nur in Form der Klage oder sogar der Anklage geschehen: „Warum lässt du Gott das alles zu?“ Wir verstehen es nicht und wir lehnen uns gegen sein Handeln auf. Solch ein Verhalten behält den Zusammenhang mit Gott bei, löst sich nicht aus ihm heraus, verrät aber auch die humanmenschliche Perspektive nicht. Sehr schön kommt dies in der bekannten Geschichte von den Rabbis zum Ausdruck, die angesichts des Holocaust über Gott zu Gericht sitzen und ihn verurteilen. Danach fragt einer von Ihnen, was sie denn nun tun wollen. Und die Antwort ist: „Nun gehen wir beten!“
Es gibt nun allerdings andere Frömmigkeitstraditionen, die angesichts solcher Erfahrungen mit Gottes vollkommen unverständlichem Handeln die grundsätzlich abhängige Rolle des Menschen gegenüber Gott herausstellen und deswegen Gott nicht einmal anklagen können, sondern sich in das gegebene Geschehen fügen: „Der Herr hat‘s gegeben, der Herr hat‘s genommen. Der Name des Herrn sei gelobt!“ Musterbeispiel hierfür ist der alttestamentliche Hiob, dessen Einstimmung in das Geschehen von einer Grunderkenntnis herkommt, die gleich zu Beginn des Hiob Buches entfaltet wird: „Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahin fahren.“ (Hiob 1,21) – ein Memento Mori, in dem die absolute Weltüberlegenheit, ja spezifische Arroganz des Glaubens artikuliert wird. Der Satz impliziert, dass mir nichts geschehen kann, weil ich ohnehin nichts vorzuweisen habe und alles von der Gnade Gottes abhängt.
So etwas kann sich auch religiös als eine Art Fatalismus ausbilden. In der christlichen Variante steht hinter der Zustimmung zu Gottes anscheinend gegen mich gerichtetes Tun jedoch das ganz grundsätzliche, alles überwölbende Vertrauen zu Gott, dass sich auch durch die größten Versuchungen nicht irritieren lässt. Mein Leben ist ein Geschenk Gottes – und eines Tages gebe ich es ihm zurück. Und dieser Tag kann jeder Tag sein. Mein Leben ist nicht das Wichtigste, was ich habe und ich muss dieses Leben deswegen auch nicht ins Unendliche steigern; schon gar nicht hängt mein Lebenssinn an meinem Leben. Viel wichtiger ist mein Glaube, an dem alles, die Ewigkeit, hängt. So etwas klingt für moderne Ohren nicht nur absurd sondern möglicherweise auch völlig überheblich, da damit ein geradezu erbärmlicher Verzicht auf all das einhergehen kann, was modernen Menschen so ungeheuer wichtig ist. Solch eine Grundhaltung zum Leben deduziert seine Bejahung, gerade weil es nicht das allerwichtigste ist, aus der Dankbarkeit gegenüber Gott für dieses Geschenk. Und es kann mit einer Grunde im genommen seltsamen Vergnügtheit und Freude einhergehen, obwohl es dafür in der empirischen Welt möglicherweise überhaupt keine Anlass gibt. Hans-Dieter Hüsch hat eine solche Haltung in seinen schönsten Gedichten immer wieder herausgestellt. „Ich bin vergnügt, erlöst, befreit Gott nahmen seine Hände meine Zeit. … Was macht, dass ich so furchtlos bin, an vielen dunklen Tagen. Es kommt ein Geist in meinen Sinn, will mich durchs Leben tragen. Was macht, dass ich so unbeschwert und ich kann Trübsinn hält, weil mich mein Gott das Lachen lehrt wohl über alle Welt.“