Arbeit / Übung
Arbeit / Übung
Während es in früheren Zeiten galt Arbeit, gerade harte körperliche Arbeit, als in Gottes Auftrag und auf seinen Befehl hin auszuführen, ist ist sie in modernen Zeiten in vielen Bereichen immer mehr zu einem Medium der Selbsterfahrung – und damit potentiell auch zu Medium der Gotteserfahrung – geworden. Blieb sie früher quasi äußerlich, weil aufgrund von Zwang zu vollziehen und um den Preis des eigenen Überlebens auszuführen, verlagert sich dieser Druck nunmehr in das Innere und wird zum eigenen, aus sich selbst heraus wirkenden, Antrieb. Die Arbeit wird auf diese Weise zu einem Weg, mich selbst zu vervollkommnen und damit zu einem Bedürfnis – was sich bis hin zur Sucht steigern kann.
Peer Sloterdijk hat in dieser Richtung deswegen dafür plädiert den Arbeitsbegriff erheblich auszuweiten und anthropotechnische Elemente einzubeziehen, d.h. Arbeit zu verstehen als vor allem aus Übungen bestehend. Was der Mensch aus sich macht, dass macht er aus Exerzitien in allen möglichen Feldern mit sich selbst. Auf diese Weise erzeugt der Mensch sich selbst und wird zum Shareholder seines eigenen Humankapitals. Alles was eine hat und was eine aus sich macht beruht dann auf knappen Ressourcen, die es auszubauen, zu steigern und zu erhalten gilt. „Als Übung definiere ich jede Operation, durch welche die Qualifikation des Handelnden zur nächsten Ausführung der gleichen Operation erhalten oder verbessert wird.“ Es ist deutlich, dass Sloterdijk hier einen ursprünglich auf Religion gemünzten Begriff – Religion besteht geradezu aus körperlichen und mentalen Übungen – in die Welt der modernen Arbeit hinein schiebt.
Solche Arbeitsübungen werden dann noch gesteigert, wenn sich die menschlichen Fähigkeiten mit technischen Apparaturen verbinden, wie Antonio Negri und Michael Hardt betonen. „Interaktive und kinetische Maschinen werden zu neuen künstlichen Gliedern, die unsere Körper wie in unser Denken und fühlen integriert sind, und sie werden zu einer Linse, durch die Video gebunden unseres Körpers wie unseres Denkens und Fühlens stets neu wahrnehmen.“ Gerade auf diese Weise wird affektive Arbeit ganz neue formatiert und zu einer neuen Spitzenform von Arbeit überhaupt entwickelt. Es geht um die Erzeugung und Handhabung von Effekten im zwischenmenschlichen aber auch im virtuellen Bereich: letztlich Arbeit am körperlichen Wohlbefinden, Behagen, Wohlergehen, an der Befriedigung und Erzeugung von Leidenschaften. Solche Arbeit kann nur als Koproduktion mit anderen gelingen. Sie ist auf seine Mitwirkung und Zustimmung angewiesen und formatiert den anderen stets auf neue Weise. Beste Beispiele hierfür finden sich im gesamten Medien Bereich der Produktion und Vermarktung von Musik und allen anderen virtuellen Produkten, die direkt in die inneren Welten der Menschen intervenieren.
Während es weiterhin natürlich auch Arbeit an spezifischen Produkten oder an herkömmlichen Dienstleistungen geben wird besteht das Ziel dieser Arbeit nicht länger darin, vergegenständlichbare Leistungen zu erbringen sondern in der Schaffung von Sinn – Welten, in denen sich die Menschen bewegen, weil es ihre Lebenswelten sind. Das beginnt bereits beim klugen Design eines modernen Edekaladens, der gleichsam das Schlaraffenland bzw. das Paradies abbildet. Und es endet noch lange nicht beim Heimkino, in dem man sich als Teil der virtuellen Kinoinszenierung begreifen kann. Solche Arbeit ist Arbeit an der Schaffung virtueller Formen von Sozialräumen und sozialen Zeiten, die sich potenziell aus den vermeintlich realen Räumen und Zeiten entkoppeln können. In ihnen entwickeln Menschen ihre Sprach- und Handlungskompetenz: Sie sind ihnen eingefügt bzw. ihnen unterworfen und nur auf diese Weise sind sie Subjekte ihres Lebens.
Die Arbeit hat sich damit vollkommen verwandelt. Sie produziert nicht länger irgendetwas, sondern sich selbst. Was einst als außerordentliches Attribut Gottes galt: frei zu sein, den grundlegenden Anfang machen zu können, scheint nun auch für menschliche Arbeit zu gelten. Wer an der Gestaltung virtueller Umwelten mitwirkt ist Teil der Schaffung solcher Neuanfänge. Und darin ist dieser Arbeit keine Grenze gesetzt: ihr Rohstoff ist die menschliche Fantasie und sind die menschlichen Sehnsüchte.